Während meiner mittlerweile 16 jährigen Selbstständigkeit hat mir als Therapeut immer der entscheidende Schlüssel gefehlt. Das sogenannte Tüpfelchen auf dem „i“.
Die Frage war immer: Wie kann ich dem Patienten das Gefühl vermitteln sich selbst bewusster wahrzunehmen um sich wieder ursprünglich, also vor dem eigentlichen Geschehen, das zu seiner Problematik geführt hat, automatisch zu bewegen.
Nach langem langem Suchen erhielt ich die Antwort im Jahr 2008, als ich in meiner Verbandszeitschrift einen Artikel über Somatic Education, bzw. Sensomotorics® von Beate Hagen las. Da ging es um Muskelneuprogrammierung und Schmerzfreiheit durch das Wiedererlernen der ursprünglichen Bewegungsmuster.
Als ich meinen ersten Kurs belegte war mir sofort klar, …das ist es, der fehlende Baustein, das gesuchte Tüpfelchen auf dem „i“.
Bei Sensomotorics® geht es darum, die vom Gehirn „vergessenen“ Muskeln, also die, die sich aufgrund irgendeines Traumas, Dauerfehlhaltung, Operation, etc. nicht mehr in unserem Bewusstsein befinden, wieder durch einfache Übungen und sanfte Behandlungsgriffe in den Muskelkreislauf zu reintegrieren. Im Vordergrund steht das bewusste Wahrnehmen der Bewegung und nicht das mechanische Ausführen einer Übung.
Das Resultat ist eine ganzheitliche, gelöste Bewegung, bei der nicht einzelne Muskeln isoliert versuchen eine schmerzhaft eingeschränkte Bewegung durchzuführen.
Eben genauso wie sich Kinder bewegen. Ganzheitlich, frei und ohne sich Gedanken um die Ausführung einer Bewegung zu machen. Aber um genau dahin zu kommen gibt es Sensomotorics®.
Prof. Dr. Thomas Hanna, der ein Schüler von Moshe Feldenkrais war, dem Urvater der Übungen, „Bewusstheit durch Bewegung“, entwickelte in jahrelanger Beobachtung und Forschung den „beschleunigten Feldenkrais“ und nannte diese „Somatic Education“. Beschleunigt, im Sinne von „schneller zum Erfolg gelangen, bewusster hinführen“.
Beate Hagen hatte Prof. Dr. Thomas Hanna bei seinem Workshop zur Einführung in seine Methode in München erlebt. Nach seinem Unfalltod absolvierte sie bei einem seiner Schüler eine dreijährige Ausbildung und entwickelte die Methode zu Sensomotorics® weiter.

In über 10 Jähriger Praxiserfahrung mit Sensomotorics nach Beate Hagen® entwickelte ich daraus eine für die Praxis einfache und effektiv funktionierende Muskelneuprogrammierung und nenne diese Sensomatics®.
Sensomatics® lässt sich hervorragend mit dem STR® Konzept verbinden.

Prof. Dr. Thomas Hanna haben wir die revolutionäre Entdeckung der 3 neuromuskulären Reflexmuster zu verdanken, auf deren Grundlage wir dem schmerzgeplagten Menschen ausgesuchte Übungen zur Erlangung der Schmerzfreiheit vermitteln können.
Er beobachtete, dass bestimmte Reflexmuster den Patienten unbewusst immer in einer Schonhaltung halten und aus dieser heraus bewegt sich der Mensch dann auch.
Fehlhaltungen entstehen und bestehen, bis wieder eine Umprogrammierung im corticalen Bereich des Gehirns (Sitz des bewussten Wahrnehmens und Steuern der Bewegungsmuster vom Gehirn aus) stattfindet. Erst wenn von der Sensorik (Sinneswahrnehmung) zur Motorik (Muskel) also wieder die ursprüngliche Information fliesst, können wir uns ohne Schonhaltung und Bewegungseinschränkung ursprünglich und frei bewegen.
Um erst einmal die Ursache und deren Folgeerscheinung zu beobachten sehen wir uns nachfolgend die 3 Reflexmustertypen an:

ES IST EINMAL DER STOPREFLEXMUSTERTYP:
Ursachen sind vorausgegangene Stürze, das Gehen am Rollator, neurologische Erkrankungen wie MS, Parkinson oder Überlastungshaltungen z.B. beim Sport.

Die emotionale Grundhaltung hinter diesem Reflexmustertyp ist Angst. Verkürzte Brust- und Bauchmuskeln ziehen den schmerzgeplagten Menschen in die Fehlhaltung nach vorne. Eine gewisse Gangunsicherheit, aber auch Kopfschmerzen und Schwindel gehören hierzu, ebenso wie Atemprobleme.

DER STARTREFLEXMUSTERTYP:
Anstrengung und Perfektion bestimmen diesen Reflexmustertyp. Rückenschmerzen, Dauerkopfschmerz und Migräne, Verspannungen im Schulterbereich und Leistenschmerzen sind hier häufig zu finden.

DER TRAUMAREFLEXMUSTERTYP:
Ein vorausgegangener Unfall, eine Verletzung, z.B. ein Inversionstrauma (schmerzhaftes Nachinnenknicken des Fußes) führen oft zu einer dauerhaften Schonhaltung, da das Gehirn dieses Schutzreflexmuster nicht mehr alleine umprogrammieren kann.

Auswirkungen der Beschwerden auf den gesamten Körper gehören hierzu, obwohl die Ursache wie oben bereits erwähnt ein Inversionstrauma war. Es nützt also auf Dauer nichts, weder für die verletzte Struktur noch für die daraus resultierenden betroffenen Stellen, wenn ich nur nach „Dawos“ behandle. Also nur da ansetze wo es schmerzt oder die Ursache war.

Das Gehirn kann aufgrund dieses Traumas den Körper nicht mehr selbstständig neu, bzw. reprogrammieren.
Das bedeutet im eigentlichen Sinne, vor dauerhafter Belastung, oder sportlicher Tätigkeit sollte auf jeden Fall eine Umprogrammierung stattfinden, da sonst in diesen Fehlhaltungsmustern trainiert wird und sich die Auswirkungen dann schmerzhaft im Körper auswirken können.
Und damit kommen wir zur eigentlichen Genialität dieser Behandlungsform. Das Entscheidende bei Sensomatics® ist nämlich die Nutzung der Tatsache, dass fast alle Muskeln vom Gehirn angesteuert werden und dort die eigentliche Neuprogrammierung stattfinden muss und nicht im Muskel selber. Wir nutzen also den Bereich der Körperwahrnehmung um über den Muskel das Gehirn zu erinnern, wie der Muskel sich ursprünglich bewegt hat und erhalten als Reflexantwort das freie, schmerzhafte und ursprüngliche, im Gehirn zuvor korrekt abgespeicherte Bewegungsmuster zurück.
Diese Behandlungsform ist also eine Art Hirnarbeit und keine isolierte Muskelarbeit und damit in dieser Form einzigartig.
Um ursprüngliche Bewegungsmuster wiederherzustellen, müssen wir die Muskeln aus ihrer sogenannten sensomotorischen Amnesie, aus dem Gefängnis des Vergessens befreien. Dies gelingt uns durch sanfte Griffe und Eigenübungen, damit das Gehirn sich „erinnern“ kann. Schmerzhafte Behandlungsformen können zwar oftmals schnell und effektiv verklebte Faszien lösen und Schmerzen lindern, aber das Gehirn braucht noch den Input des korrekten Bewegungsmusters damit die gelösten Strukturen wieder richtig gebraucht werden können. Dies schafft Sensomatics®.
Bei Sensomatics® gehen wir nach dem Empfinden des Patienten, oder mit den genialen Eigenübungen, eben nach unserem eigenen Empfinden und unserer Wahrnehmung.
Wir machen nur das, was uns und den Patienten gut tut und führen damit aus dem Schmerz heraus in die bewusste Wahrnehmung und die ursprüngliche Bewegung.

Ein Beispiel für sensomotorische Amnesie:
Sie sitzen auf einem Stuhl und sollen nach oben und anschließend nach unten schauen: Bevor Sie weiterlesen, überlegen Sie bitte, wie Sie dies machen würden.
Aller Wahrscheinlichkeit nach benutzen Sie bei dieser Bewegung überwiegend nur den Kopf.
Wie aber würde es ein (schmerzfreies) Kind machen?
Es würde die Bewegung mit dem ganzen Körper ausführen, um die Nacken- und Schultermuskeln, also die kleineren, schwächeren Muskeln, automatisiert zu entlasten.
Es bewegt sich aus der Körpermitte heraus, aus dem Rumpf, der mittleren Brustwirbelsäule und nimmt die Schultern zurück, und bei dem nach unten Beugen und Wiederaufrichten kommt der Kopf ganz zum Schluss nach oben, das Becken und der Rumpf übernehmen die Hauptarbeit, also die großen Muskeln. Dadurch wird das Zurücknehmen des Kopfes und das nach unten Beugen zu einem wahren Genuss und ganz leicht. Wenn diese Bewegung korrekt durchgeführt wird, am Besten anfangs von einem erfahrenen Therapeuten, ist sie sogar bei Bandscheibenpatienten ohne weiteres durchzuführen, was sonst unmöglich wäre.
Und darin liegt ein weiterer wichtiger Schlüssel. Wir sollen nämlich wieder lernen uns mit Genuss zu bewegen, schmerzfrei und ohne überlegen zu müssen wie wir uns bewegen müssen, damit es schmerzfrei geht. Eben wie die Kinder. Also: Back to the roots ist das Thema, zurück in die Ursprünglichkeit der Bewegung und da ist Sensomatics® für mich der Schlüssel.

Hier ein Beispiel für eine sensomotorische Übung bei Schulter-Arm Problemen, Brustwirbelsäulenbeschwerden und Hüftschmerzen.

Umprogrammierung im Liegen:
Der Arm liegt im schmerzfreien Bereich seitlich ausgestreckt neben dem Körper.
Erst die eine Seite 4 bis 5 mal ausführen, dann die andere.
Wenn der Kopf zur Hand schaut, ist die Handfläche oben, wenn der Kopf weg gedreht wird, ist die Handfläche unten.
Gedreht wird aus der gesamten Schulter. Das Hauptaugenmerk liegt auf den Schulterblättern. Liegt die Hand auf dem Handrücken, rutscht das Schulterblatt automatisch nach unten. Liegt die Hand auf dem Handteller rutscht das Schulterblatt nach oben. Die Schulter aber hebt sich nicht oder nur kaum von der Unterlage ab.
Die Übung ganz langsam ausführen, um Unterschiede und die Bewegung an sich wahrnehmen zu können. Bei zu schneller Ausführung ist eine Wahrnehmung nicht möglich und das Gehirn nimmt nur Muskelarbeit wahr.
Also sanft und ohne Kraft. In der (schmerzfreien) Endbewegung kurz verweilen, ca. 5 Sekunden. Bei Schmerzen etwas aus der Bewegung rausgehen. Ab ca. der 3. Wiederholung hört in den allermeisten Fällen der Schmerz langsam auf und die Strukturen und die Seiten gleichen sich an. Das Gehirn erinnert sich wieder und gibt die Bewegung frei und verklebte Strukturen lösen sich automatisch.
Niemals die Luft anhalten. Die Übung also unabhängig von der Atmung durchführen, da ich mich in alltäglichen Bewegungen ja auch nicht auf die Atmung konzentriere. Wir möchten ja in die Natürlichkeit der Bewegung kommen. Die Atmung harmonisiert sich automatisch. Oft ist am Ende der Ausführung der Bewegung ein tiefer Atemzug festzustellen. Das ist der reflektorische „Lock in“. Die Abspeicherung der wiedererlangten Bewegung im Gehirn und damit die Absicherung des Ursprungsprogramms.

Das Ergebnis ist eine Schulter die nach und nach ohne Schmerz und Anstrengung immer freier beweglich wird. Eine isolierte Bewegung des Armes ohne Beteiligung von Rumpf und Schulterblättern wird dauerhaft vermieden und eine Überlastung der Schultergelenke unterbunden.

„Umprogrammierung des Musculus Trapezius“, Schulterhebemuskel
Bei Menschen mit seitlicher Fehlhaltung des Kopfes und Schulterschiefstand sehr effektiv.

Patient liegt in Rückenlage.
Im vorliegenden Fall drückt der Kopf des Patienten leicht (!) nach rechts gegen die Hand des Therapeuten. Der Patient soll die sanfte Anspannung, bzw. Verkürzung des seitlichen Muskels (M. Trapezius) bewusst wahrnehmen (damit diese sensorische Information zum Cortex (Input im Gehirn) gelangt und reflektorisch den angespannten und verkürzten Muskel wieder freigibt). So leicht drücken, dass kein Schmerz entsteht.
Gleichzeitig drückt die Schulter des Patienten nach oben, Richtung Ohr, gegen die andere Hand des Therapeuten. Nach ca. 3-5 Sek. langsam den Druck lösen, dann weiter in die „Dehnung“ gehen.

Der Kopf wird also langsam zur Gegenseite gebracht, während die Schulter gleichzeitig immer weiter sanft herunter gedrückt wird.
Am Ende, wenn der Trapezius maximal (im Sinne des Patienten) gedehnt ist, wird umgegriffen und der Kopf drückt nun zur gewünschten Seite gegen die Hand des Therapeuten, welche jetzt an der Außenseite des Kopfes des Patienten liegt.
Gleichzeitig zieht der Patient die Schulter nach unten und der Therapeut hält mit seiner Hand dagegen. Dieses sanfte Herausführen am Ende in die gewünschte Bewegungsfreiheit ist das sogenannte „Lock in“. Dann eine kurze Pause einlegen und auf den sogenannten „reflektorischen Atemzug“ warten. Dieser vertiefte Atemzug sagt aus, dass das Gehirn das richtige Bewegungsmuster und damit die Entspannung „akzeptiert“ hat.

So findet neben der Dehnung gleichzeitig am Ende die Umprogrammierung statt. Das vorab genannte „Lock in“, also die Sicherung des Programms in der Schaltzentrale, im Gehirn, ist entscheidend und so bei keiner anderen Therapie wiederzufinden.
Passende Selbsthilfeübungen, z.B. bei Dauerfehlhaltung am Arbeitsplatz oder einer nicht zu behebenden Behinderung, oder einfach zum dauerhaften Erhalt des Behandlungserfolges sorgen für einen dauerhaften Bewegungsgenuss und zaubern Ihnen wieder ein somatisches Lächeln auf Ihr Gesicht.

Autor des Artikels:
Gamal Raslan, Praxis für STR®- Schmerztherapie
Für Sensomatics® bietet Gamal Raslan auch Kurse für Therapeuten, Heilpraktiker, Ärzte, alle medizinischen Berufe und Betroffene an.